Wir sind viele!
Das Modellprojekt demokratische Schule ist vielseitig, ideenreich und experimentierfreudig. Gemeinsam mit unserem Netzwerk entwickeln wir uns immer weiter.
Schule der Demokratie - Auftaktkongress Modellprojekt Demokratische Schule
Auftakttagung des Modellprojekts Demokratische Schule „Schule der Demokratie“ – Beteiligung lernen & leben
Mit der Tagung am 20.5.2021 begeht das Modellprojekt Demokratische Schule – pandemiegeschuldet – mit einem Jahr Verspätung endlich seinen offiziellen Auftakt. Leider und gleichzeitig aber auch zum Glück ist die Tagung online durchgeführt worden. Natürlich wäre uns ein direkter Austausch mit den vielen Referent*innen und Gästen ein wichtiges Anliegen gewesen. Allerdings wäre eine solch rege Teilnahme mit über 100 angemeldeten Teilnehmer*innen in Präsenz nicht zu erwarten gewesen. Das Modellprojekt wird vom Bundesprogramm Demokratie leben! des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend dem Landkreis Dachau gefördert. Der Kreisjugendring Dachau führt das Projekt durch und organisiert die Tagung zusammen mit Prof. Markus Gloe von der Ludwig-Maximilians-Universität.
Ein typisches Feedback auf Tagungen ist, dass zu wenig Zeit für Diskussion und Austausch gewesen sei. Dies ist diesmal nicht der Fall gewesen. Zwar startete die Tagung mit einigen one-way-Beiträgen, die kompakt, aber fachlich fundiert aufeinander aufbauend eine gute Grundlage gelegt haben.
Mit einem World Café, praxisnahen Workshops und einer digitalen Podiumsdiskussion gab es dann aber neben kurzen und teils provokanten, teils konträren Beiträgen viel Gelegenheit zum Austausch, zur Debatte und zur Vernetzung. Denn die Tagung sollte dem Modellprojekt, den Referent*innen und den Teilnehmenden Anregungen für Ihre Arbeit in Beteiligungsprojekten und der Demokratiebildung geben.
Daher haben wir versucht, ganz dem Demokratieverständnis folgend, dass „Streit“ im Gegen- und Miteinander etwas Produktives hat, unterschiedliche Positionen ins Gespräch zu bringen.
Ein knappes Grußwort mit dann schwerpunktmäßig anregenden Darlegungen zur Beteiligungsförderung im Bundesprogramm Demokratie leben! hat Marie Lucas, Referentin im Referat Demokratieförderung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, gegeben. Hierbei spielte der Begriff der Selbstwirksamkeit eine zentrale Rolle. Die Demokratiebildung sei ein eigenes Handlungsfeld mit dem, so Frau Lucas, möglichst früh begonnen werden müsse. Kinder und Jugendliche sollten in der Schule nicht nur lernen, sondern auch ihre eigenen Meinungen finden, ausdrücken und vertreten. Sie sollten durchaus auch lernen, ihr Teilhaberecht einzufordern. Schon im Kindesalter sei es wichtig, aktiv an der Gestaltung des eigenen Umfelds mitwirken zu können.
Drei kurze Eingangsstatements zu Beginn
Nach diesem Einstieg gab Ludwig Gasteiger als Projektverantwortlicher einen Einblick in die Aufgabengebiete und Programmatik des Modellprojekts Demokratische Schule. Um Demokratie an Schulen lebendig gestalten zu können, braucht es partizipative Schulentwicklungsprozesse, die alle Beteiligten einbeziehen, und es braucht Kreativität und Mut zum demokratischen Experimentieren.
Das Modellprojekt Demokratische Schule entwickelt nicht ein fertiges Modell, sondern Beispiele, die Wissen, Methoden und Materialien bereitstellen sollen. Modellhaft soll dann ein partizipativer Schulentwicklungsprozess eingeleitet und mit offenem Ausgang zum Ziel geführt werden. Mit einer verbindlichen demokratischen Schulverfassung ist ein solches Demokratie-leben und -lernen möglich und das gehört, laut Gasteiger, zur den Kernaufgaben von Schule und Jugendarbeit. Da in einer demokratisch geöffneten Schule wichtige Demokratiekompetenzen erworben werden, die junge Menschen in alle Lebensbereiche einbringen können, wird die Schule zu einer Schule der Zukunft und einer Schule der Demokratie, die in den Sozialraum und die Gesellschaft wirkt.
Daran anschließend führte der Mitveranstalter, Prof. Markus Gloe von der LMU und geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik, in seinem Vortrag zu Demokratiekonzepten und Demokratiekompetenzen aus, dass zu reflektieren sei, welche Demokratiekonzepte bei den beteiligten Akteuren zum Tragen kommen. Prof. Gloe regt die Teilnehmenden der Tagung an, mit Bezug auf Demokratietheorien die eigenen – zum Teil impliziten – Demokratiekonzepte zu reflektieren und zu hinterfragen. Auf dieser Grundlage zeigt Prof. Gloe unterschiedliche Möglichkeiten zur Förderung von Demokratiekompetenzen für die Ausgestaltung einer Schule der Demokratie auf. Gerade in der Begleitforschung zu Schulentwicklungsprozessen wird ersichtlich, inwiefern unterschiedliche Demokratietheorien eine Rolle spielen. Diese Diversität kann bereichernd sein, kann aber auch zu Konflikten führen bzw. diese erklären. In der Reflexion dieser Demokratiekonzepte steckt auch das Potential, das Handlungsrepertoire von Demokratie- und Beteiligungsförderung auszuweiten.
Daran konnte Frau Dr. Karin Oechslein, ehem. Ministerialbeauftragte, Staatsminiterin und Direktorin des Bayerischen Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB), jetzt u. a. Mitglied der Jury des Deutschen Schulpreises und der Deutschen Schulakademie, anknüpfen. Frau Oechslein hält die Erziehung zur Demokratie und die politische Bildung überhaupt für wichtiger denn je. Das gelte für alle Schularten und alle Fächer. Sie ruft besonders dazu auf, Schulen und Schulleitungen zu ermutigen, Eltern miteinzubeziehen, Spezialisten heranzuziehen, sowie die Schüler*innen zu ermutigen, an diesem Prozess mitzuwirken. Mit Verweis auf die bestehenden Programme, Preise und Schulprojekte lädt sie zur Vernetzung ein und bietet auch ihre weitere Mitwirkung an. Gerade weil es für Schulleitungen oft nicht ganz klar ist, was nun im Kontext von Politischer Bildung, Schulentwicklung und LehrplanPlus möglich ist, ruft sie dazu auf, Schulen und Schulleitungen zu ermutigen, aktiver das Thema Demokratie an Schulen anzugehen.
Wold-Café zum schnellen, unkomplizierten und diskursreichen Austausch
In der anschließenden Table Session, die eine Variante des World Cafe darstellt, wurden von Gästen sowie von Mitarbeiter*innen des Modellprojekts und des Lehrstuhl für Politische Bildung Thesen in Kurzinputs eingeworfen. Die Gäste konnten nach Belieben von Raum zu Raum wandern, um sich an den Diskussionen zu beteiligen.
Besonders gut ist zum Beispiel das Thema Digitale demokratische Schul- und Unterrichtsentwicklung, Prof. Sören Torrau, Uni Erlangen-Nürnberg und Mitglied im Vorstand der DeGeDe angenommen worden:
Prof. Sören stellte drei zentrale Beobachtungen dar:
- Um Demokratie-Lernen als schulisches Leitprinzip digital zu entwickeln, braucht es Fachlehrer*innen und Pädagog*innen, die Bauformen demokratischer Unterrichts- und Schulkultur demokratietheoretisch reflektieren zu können.
- Schüler*innen müssen systematisch in schulischen digitalen Entwicklungsprozessen zum Demokratie-Lernen als gesellschaftliche Akteur*innen anerkannt werden – ohne Wenn und Aber.
- Demokratische Schulentwicklung selbst muss zum Thema gemacht werden und explizit mit politischen Entscheidungen thematisiert werden. Erforderlich dazu ist ein Konzept von “learner agency“.
Weitere Räume des World Cafés beschäftigten sich unter anderem mit dem LehrplanPlus, Politischer Bildung vs. Demokratiepädagogik, Jugendgremien in der Kommune und der Mitbestimmung von Schüler*innen im Spannungsfeld pädagogischer Verantwortung. Insgesamt konnten die Teilnehmer*innen zwischen neun Themenräumen wählen und jeweils zu drei recht provokanten Thesen diskutieren. Wie viele Themenräume jeder besuchte, war den Teilnehmenden selbst überlassen.
Vertiefende Workshops zu acht Themenfeldern
Nach einer Mittagspause ging es dann in den zweiten Teil des Tages, der von vertiefenden Workshops bestimmt war. Die Teilnehmenden konnten sich bereits im Zuge der Anmeldung für eines der acht angebotenen Vertiefungsmodule entscheiden.
In dem Workshop Klassenrat trifft Vielfalt unter der Leitung von Diana Rychlik (DeGeDe, Programmleittung „Klassenrat trifft Vielfalt“) ging es darum, wie darf und soll demokratische Beteiligung eigentlich gehen. Sabine Kehr, Mittelschullehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Würzbug lud ihre Teilnehmer*innen dazu ein, Schülerparlamente an Grund- und Mittelschulen zu beleuchten.
Christophe Rude von der Akademie für Philosophische Bildung stellte das Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen dar. In dem Vertiefungsmodul Schulfach Glück, stellte der Leiter und Gründer des Fritz-Schubert-Instituts, Dr. Fritz-Schubert selbst, vor, wie ein Schulfach Glück die Lebenskompetenz und die Lebensfreude der Schüler*innen unterstützen kann. Die Theaterpädagogen Philip Blom und Pedram Aghdassi unseres engen Kooperationspartners Creative Change e.V. spielten für die Workshopteilnehmer*innen ein kurzes Theaterstück und stellen vor, wie partizipatives Theater funktioniert und Schüler*innen ermutigen und ermächtigen kann. Regine Leonhard von der Stiftung gute Tat ging in ihrem Workshop „Gesellschaft sind wir!“ darauf ein, wie mit Lernen durch Engagement die Demokratiekompetenz in allen Fächern gefördert werden kann und soll. Björn Adam, von der Initiative beWirken - Jugendbildung auf Augenhöhe machte sich mit den Teilnehmenden auf den Weg zu einer demokratischen Schule und nahm vor allem den Schulentwicklungsprozess in den Blick. Das Angebot wurde abgerundet durch ein digitales Thema: So stellten Alexa Schaefer von Politik-digital e.V. und Ralph Schmitt vom Sonderpädagogischen Förderzentrum Amberg die digitale Beteiligungssoftware Aula vor. Dies ist ein möglicher Baustein zur Digitalisierung demokratischer Verfahren an Schulen.
Abschließende Podiumsdiskussion mit Tina Uthoff und Dr. Fritz Schäffer
Nach einem langen und informativen Tag mit vielen Diskussionen und Gedankenanstößen schloss die Tagung schließlich mit einer 90minütigen Diskussionsrunde. Besonders gefreut hat uns als Veranstalter, dass auch nach diesen vielen Stunden noch rund 50 Teilnehmende dabei blieben und sich teils rege an der Diskussion beteiligten. Unter der Leitfrage „Wie weit kann, soll und darf Demokratie an Schulen verwirklicht werden?“ stellten zunächst zwei engagierte Mitstreiter*innen für die Demokratie an Schulen ihre Konzepte und Positionen dar:
So gab Tina Uthoff, Vorstandsvorsitzende des Vereins Demokratische Schule München einen Einblick in das Konzept für eine freie demokratische Schule. Und betonte ihre Überzeugung dafür, den Schüler*innen viel mehr zu vertrauen und vor deren Mittbestimmung keine „Angst“ zu haben.
Dr. Fritz Schäffer vom BLLV betonte die Chancen, Möglichkeiten und auch Pflichten für alle bayerischen Schulen in Hinsicht auf Demokratie an der Schule. Er bezog sich auf ein Positionspapier des BLLV zu Demokratiepädagogik und er unterstrich die Haltung von Frau Uthoff, mit mehr Mut und weniger Angst in die Zukunft zu gehen und Schule zu gestalten.
Die Diskussion im Anschluss brachte deutlich zu Tage, wie viel Engagement, wie viele Ideen, wie viel Willen und wie viel Hoffnung bei vielen Beteiligten der Schulfamilie da sind, aber auch wie viele Grenzen der Demokratiepädagogik gesetzt sind, wie viele Hürden Lehrkräfte und Schulleitungen überwinden müssen und wie viel individuelles Engagement notwendig ist, um den Weg zu mehr Demokratie an Schulen zu gehen und hier nachhaltige Veränderungen zu erreichen.
Wir als Veranstalter freuen uns, diesen Diskurs auch in Zukunft fortzusetzen und mit praktischen Umsetzungen im Schulalltag zu demokratischeren Schulen beizutragen.
Eine ausführliche Dokumentation der Tagung folgt.
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